Was wir feiern ...
das Herbst-Equinox, die Herbst-Tagundnachtgleiche. Das neu-nordische Herbstfest, Erntedank, Haustblót und Mabon (Alban Elfed, Licht des Wassers), wie das Fest neo-druidisch bei unseren keltischen Verwandten heißt.
Am Mittwoch, 22. September 2021, 21:20Uhr ist auf der Berliner Zeit-und-Raum-Achse Herbst-Tagundnachtgleiche. Für uns bedeutet das, dass sich das Tor in die dunkle Jahreshälfte öffnet und wir Abschied vom Sommer, von der lichten Jahreshälfte nehmen. Nach dem Equinox sind die Nächte wieder länger als die Tage und wir werden weniger und weniger Zeit unter Sunnas Obhut verbringen. Das Herbstfest ist nach Leinernte im August das zweite Erntefest und die Zeit des großen Erntedanks.
Schwierig. Ich sage es wie es ist – irgendwie fehlen mir Teile des Jahres. Der Frühling kam spät, der Sommer war nicht so richtig da und den Herbst scheinen wir auszulassen. Ich bin noch nicht bereit. Nicht bereit in den Winter zu gehen. Vielleicht auch, weil es selbst mir mit dem Rückzug gerade erstmal reicht nach diesen letzten beiden Jahren. Irgendwie fühle ich mich noch in Wartestellung. Etwas fehlt. Oder kommt da etwas? Ich habe die Unruhe des letzten Jahres noch immer nicht abgelegt. Körper und Seele zeigen mir das sehr deutlich.
In der Festvorbereitung denke ich viel über das Feiern nach. Darüber, was wir modernen Heiden damit verbinden und ob und wie sich die Bedeutung der Festtage verändert hat. „Was wir feiern“. Hmmm. Vielleicht besser „Worauf wir uns besinnen“? Ich verstehe und kann ihn fühlen, den Jubel und die Erleichterung, wenn die Ernte im Schober ist und gewiss ist, dass meine Lieben über den Winter kommen werden. Eigentlich hat es ja diese Dimension und Dramatik für uns Menschen der westlichen Industrienationen nicht mehr. Eigentlich. Ich schaue um mich und verbinde das Erntedankfest zuerst mit dem, was mir unser Garten dieses Jahr geschenkt hat. Wir haben gut gegessen, viel verschenkt und Schätze eingekocht oder tiefgefroren. Trotz der merkwürdigen Wetter – oder vielleicht genau deshalb. Wusstest Du, dass sterbende Bäume meist nochmal besonders viele Früchte produzieren, um möglichst viel Nachwuchs in die Welt zu bringen, wenn sie wissen, dass ihr Ende naht? Entschuldige, falls Dir das zu düster ist - da macht sich der zweite Aspekt des Festes bemerkbar, die Ahnung der kommenden Stürme und das Wissen um die zunehmende Dunkelheit. Das Haustblót stimmt uns auch ein auf die Zeit, die den Totengöttern und den Ahn:innen gehört. Für mich dieses Jahr vielleicht der dominante Aspekt, denn die Ahn:innen rufen mich derzeit oft auf die Totenacker und zu den Gedenksteinen meiner Region, um dort zu wirken und um zu hören, was sie zu unserem Umgang mit der Krise zu sagen und zu raten haben.
Die zentrale Botschaft dieser Tage ist: „Wir ernten, was wir gesät haben.“ Die Ahn:innen nehmen sich da nicht aus, sie sind ja weiter Teil unserer Familien und Gemeinschaften, haben ihren Wohnsitz nur in die Anderswelt verlegt. Wir ernten als Einzelpersonen in unseren Gärten / Lebensbereichen, als Gesellschaft und als Menschgemeinschaft. Und nichts von dem, was uns dieses Jahr beschäftigt, begeistert, besorgt, befeuert oder betrübt hat ist zufällig. Alles hausgemacht: Sars-Covid-II und der Glaubenskrieg darum. Die ignorierte Klimakrise. Das Erstarken der organisierten Rechten. Die kaltschnäuzige Verantwortungslosigkeit für Menschen in Not – ob Künstler:innen und Selbstständige in den westlichen Industrienationen, Verfolgte in/aus totalitären Staaten, ob wir Kriegsgebieten den Rücken kehren oder der halben Welt den Impfstoff vorenthalten.
Die Ahn:innen schauen mich an. Eher verwundert als verärgert und die Fragen sind immer dieselben: Was glauben wir, was aus unserem Umgang folgen wird? Etwas Gutes? Etwas, das uns nährt und uns förderlich ist? Etwas, dass unseren Kindern und Kindeskindern dient?
Dies ist unsere Zeit und sie rinnt uns durch die Finger.
Ist mir da nach feiern zumute? Müsste ich stattdessen nicht mehr tun? Mehr bewegen, heilen, wandeln? Ich denke, dass es „natürlich“ richtig und wichtig ist Dank zu sagen für all das Gute, Wahre und Schöne, das uns Mutter Erde und unsere Gottheiten dieses Jahr geschenkt haben. „Natürlich“ begehen wir auch dieses Erntefest und den Schwellengang in Gemeinschaft mit den Alten Göttern, bestätigen den Bund und drehen das Jahresrad weiter. Erntefest. Erntedank. Wir sind immer noch privilegiert, weit weg davon, wirklich existenziell bedroht zu sein und doch … Ich kann es nicht in Worte fassen. Ich sehe es in den Augen meiner Geister und Begleiter:innen. Ich höre es im Rauschen der Blätter an den Bäumen. Der See lässt es mich spüren. Ein ganz seltsames Gefühl.
Wir ernten, was wie gesät haben. Schauen wir tiefer, fragen wir uns, ob wir mit diese Ernte wirklich unsere Speicher füllen wollen. Und welches Saatgut uns für das nächste Jahr zur Verfügung steht. Jetzt ist noch Zeit, sich für Neues zu entscheiden. Wie passend, dass wir wählen dürfen.
Gesegnetes Equinox allen Wesen in allen Welten!
Nachgedanke: Vielleicht finden wir wieder mehr zueinander, als Gesellschaft und Gemeinschaft, denn traditionell endet mit dem Herbst-Equinox die Zeit der Kämpfe, die Krieger:innen legen ihre Waffen nieder. Ich wünsche es uns.
Dein Urs Bärenkräfte
P.S.: Wer sich fragt, warum die Tag-und-Nacht-Gleichen nicht immer auf den 21. fallen, findet hier eine fachliche Antwort: www.futura-sciences.com/de/herbst-tagundnachtgleiche-21-september_2396/