"Wilde Hoffnung
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Es ist eine klirrend kalte Nacht und die Dunkelheit greift um sich, als wolle sie die Welt vollends verschlingen.
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Wie lange laufe ich schon?
Wer weiß es. Wie viele Jahre, Monate, Tage.
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Der Schmerz von Generationen klebt verkrustet an meinem Körper. Macht Ihn schwer und taub und vermag dennoch meine Schritte nicht zu lähmen.
Eine kleine Flamme in mir züngelt stolz, kennt noch die Stimme der alten Göttin, hat nie die Hoffnung verloren.
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Und dort in der Ferne, horch!
Im Osten beginnts!
Hörst Du den Ruf?
Hörst Du den Ruf der großen Mutter?
Sie ruft zum wilden Tanze.
Sie ruft zur Modranecht.
Sie ruft Ihre Töchter herbei.
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Siehst Du das Licht dort hinten?
Ein mächtiges Feuer lodert – voll Weisheit, voll Kraft, voll Wildheit.
Sie strömen herbei, aus allen Teilen der Erde, aus allen Ländern der Welt.
Folgen dem Ruf.
Sammeln sich zum wilden Reigen.
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Ich atme ein.
Ich lege den Schleier der Dunkelheit ab.
Und tanze.
Mit Euch.
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Wir tanzen uns die Dunkelheit und die Kälte aus dem Leib.
Tanzen uns die Wärme in die Körper.
Stampfen den Rhythmus der Herzen.
Rauh und zart und echt und ungeschönt.
Trommeln die Wut und das Lachen in die Erde.
Erobern uns unsere Körper zurück.
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Ich öffne meine Arme.
Nehme mir Raum.
Lasse die Wunden und Verletzungen heilen.
Fülle sie mit Gemeinsamkeit.
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Wir sind Mütter, Töchter, Kriegerinnen, Scherbensammlerinnen, Hoffnungsträgerinnen.
Die alte Göttin unter uns.
Du und ich und wir sind sie.
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Ich höre Schreie.
Unsere Rufe durchschneiden die Luft.
Das gejohle der Mütter. Die Schreie der Gebärenden. Das Geheul der Alten. Das Kreischen der Jungen.
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Unsere Stimmen beschwören eine neue Zeit.
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Unsere Füße lassen die Welt erzittern.
Wir schütteln ab, was nicht mehr zu uns gehört.
Alte Krusten beginnen zu bröckeln.
Und Mutter Erde erwacht unter unseren kühnen Füßen.
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Mein Herz pocht. Unsere Herzen schlagen gemeinsam. Alle den selben Takt, alle den gleichen Wert.
Wild, wie nie.
Tragen wir die Funken der Hoffnung in die Welt.
Gekrönt mit dem Wissen der Alten.
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Komm, tritt ein in den Kreis und schließe Dich an.
In dieser Nacht, der Mordanecht, der Mütternacht rufen wir Dich zum großen Tanz der Göttin, mit Deinen guten Ahninnen, den Disen und deinen Schwestern.
Verbunden mit allen weiblichen Kräften dieser Welt.
Tanze mit uns.
Du bist nicht allein.
Wir sind mit Dir.
Wir werden nicht still sein.
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Eine neue Zeit bricht an.
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Die Zeit der wilden Hoffnung."
- Oti Virago im Dezember 2022 -