· 

Leinernte

 

 

Leinernte, Schnitterfest, Kornfest, das erste neuheidnische Erntefest des Jahres. Unsere neo-keltischen Verwandten feiern zur gleichen Zeit das Fest Lughnasad.

 

Kalendarisch wird das Fest am 1.August gefeiert. Lunar zum zweiten Vollmond nach Mittsommer, so dass es den halben Weg von Mittsommer zum Herbstfest markiert. Dieses Jahr ist das der 1. August; der Vollmond zeigt sich um 20:30Uhr in voller Pracht.

 

Es ist Hochsommer, eigentlich die Zeit der heißesten Tage. In der Landwirtschaft dreht sich um die Felder und um die Ernte, die es heimzuholen gilt. Eine tägliches Wetten auf das Wetter :: wie lange kann das Korn noch Sonnenkraft tanken, wann wird es kippen und verbrennen, wann wandelt sich der mächtige Thor vom Fruchtbarkeitsbringer zum Donnerer? Die Klimaveränderungen machen diesen Wettlauf nicht leichter. In der Region, in der ich lebe sind Anfang Juli mehrere Felder in Flammen aufgegangen bevor mit dem Temperatursturz die Unwetter kamen und durch Wald und Feld stürmten. „Keinernte“ schrieb ich als Titel für diesen Text auf meiner Webseite; nur ein Tippfehler und mancherorts doch bittere Realität.

 

Dies ist eine Zeit der absoluten Klarheit. Es ist nicht die Zeit, in der wir in Erinnerungen schwelgen oder über Vergangenes grübeln sollen. Es ist auch nicht die Zeit, planend die nächsten Monate oder gar das nächste Jahr zu organisieren. JETZT ist, was zählt. Was ist jetzt reif, geerntet, getan oder gesprochen zu werden? Ist es jetzt nicht dran, ist es jetzt nicht wichtig. Es gibt in dieser Zeitqualität nur schwarz oder weiß, schneiden oder stehen lassen, ja oder nein. Es ist die Zeit der Entscheidung und der Tat. Meist sind beide Wege mit Risiken verbunden und wir müssen und dem kleineren Übel oder der größeren Chance anheimgeben. Es klingt simpel, aber es ist nicht leicht.

 

Wir leben in herausfordernden Zeiten und so kommt diese Zeitqualität wie gerufen. Lassen wir uns darauf ein, können wir (endlich) das Jetzt &Hier klar wahrnehmen, es trennen vom oft idealisierten Gestern und von unseren Wunsch-Projektionen für das Morgen. So ist diese Festzeit heuer bei nicht wenigen Leuten auch eine Zeit der inneren und äußeren Konflikte, weil sich die Kraft der Klarheit mit Macht Bahn bricht und wir von Wunschvorstellungen, Projektionen und Selbstbetrug lassen müssen. Das gilt gleichermaßen für Beruf und Beziehung, für Familie und Freundschaften und für jede Art von Projekt und gesellschaftlichem Engagement: Wir können und wir müssen jetzt die notwendigen Entscheidungen treffen, die unsere Zukunft gestalten – zum Wohle oder zum Wehe für uns und alle Wesen. Wir haben keine Zeit zu verlieren, bewegen wir uns jetzt nicht, können wir unsere Zukunft verlieren.

 

Es ist völlig in Ordnung, wenn es deswegen ein Festabend der inneren Einkehr und des Zwiegesprächs mit Mutter Natur und unseren Geist- und Ahnleuten wird, statt einer ausgelassenen Feier mit Gesang und Tanz. Fest-nach-Vorschrift ist ohnehin sinnlos; die neuen Lebensrealitäten, in denen wir uns bewegen, sollten sich meiner Meinung nach deutlich in unseren Jahresfesten widerspiegeln, sonst sind sie nur Theater. Also lass Dich rufen von den Kräften dieser Zeit, danke der Korngöttin und ihrem Gefährten, freue Dich an dem, was Du von Deinen Feldern heimholen kannst und schau mutig dem Hier&Jetzt ins Gesicht.

 

Kein Theater, sondern eine tröstliche und auf allen Ebenen unseres Menschseins heil- und hilfreiche Tradition ist die, mit Beginn dieser Festzeit die Kräuter nach Hause zu holen, die uns über das Jahr Schutz und Gesundheit schenken. Es ist Zeit, hinauszugehen und die Kräuterbuschen zu binden; traditionell werden magische 7 oder ein Vielfaches von 7 bzw. 9 oder ein Vielfaches von 9 Kräuter zu einem Bündel zusammengebunden und zum Schnitterfest geweiht. Die christliche Kirche hat den 15. August genau für diesen Zweck bestimmt, an ‚Maria Himmelfahrt‘ werden auch in den katholischen Kirchen die Kräuterbuschen geweiht. Außerdem beginnt der ‚Frauendreißiger‘, das entspricht der Zeit zwischen dem Leinerntefest und dem Herbstfest Mitte September (traditionell auch das nordische Herbstblót), die beste Zeit um heilwirksame Kräuter zu sammeln. Die Buschen werden hernach zuhause aufgehängt, sie schützen vor Blitz, Hagel und bösen Geistern und sie dienen ganz handfest als Hausapotheke.

 

Die Kräuter für den Buschen variieren regional und je nachdem, welche Pflanzenleute mit uns gehen wollen in diesem Jahr; ich schreibe Dir hier meine all-time Favoriten auf: Alant, Arnika, Beifuß, Frauenmantel, Hopfen, Kamille, Königskerze, Johanneskraut, Mädesüß, Malve, Rainfarn, Raute, Ringelblume, Thymian, Schafgarbe, Spitzwegerich, Wacholder und Wegwarte. Natürlich kommen alle diese mächtigen Pflanzenwesen mit ihren besonderen Energien und Qualitäten und allein ihre Anwesenheit in unserem Heim wirkt wandelnd.

 

Die Zeitqualität des Leinerntefestes fordert uns auf, uns selbst zu prüfen: Wo stehen wir? Sind wir bereit im Hier&Jetzt Verantwortung für uns selbst zu übernehmen? Verantwortung zu tragen für unsere Nächsten? Zu tun, was Not-wendig ist? Sind wir bereit, einen Schnitt zu machen? Sind wir bereit, Leben zu nehmen, um uns selbst zu nähren? Stehen wir allein oder in Gemeinschaft mit allem Lebendigen?

 

Inmitten der Herausforderungen unserer Zeit bitte ich Dich, ermutige ich Dich, bewusster mit unserer Umwelt, mit unserer Erdmutter umzugehen. Indem wir nach unseren Kräften und Möglichkeiten dazu beitragen, ihre Belastungen zu mildern, indem wir nachhaltige Wege beschreiten und die unterstützen, die aktiv nach Lösungen suchen. Lasst uns auch diejenigen Leute-aller-Spezies unterstützen, die bereits jetzt von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, und gemeinsam eine bessere Zukunft für kommende Generationen schaffen, indem wir zurückkehren in die Gemeinschaft aller Wesen, in dem wir wieder Teil des Lebens auf dieser Welt werden.

 

Ich wünsche Dir und Deinen Lieben gute Gesundheit, ein gesegnetes Fest und gute Entscheidungen, die unser aller Zukunft tragen mögen.

 

Dein Urs Bärenkräfte Barth